Leseproben – Die Farbe des Saris

Die Farbe des Saris

Pulver auf der Stirn

Skeptisch beäuge ich das Häufchen in meiner Hand. Ich sehe mich schon mit einem schiefen Strich auf der Stirn und Pulverrückstände auf der Nase. Ayyanar steht nicht weit von mir entfernt und hilft mir sicher.
»Ayyanar, zeichnest du mir den Punkt auf die Stirn? Ich bekomme das ohne Spiegel nicht hin.«
Alle halten inne in ihrer Bewegung und starren mich an. Dann fangen sie an zu lachen.
»Was ist? Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?«
Ayyanar schaut mich verlegen an. Ich glaube, wäre seine Haut nicht so dunkel, würde er rot anlaufen.
»Was habe ich Falsches gesagt?«, versuche ich es erneut.
Ayyanar kommt zögerlich näher, nimmt mein Pulver in die Hand und malt mir einen Punkt zwischen die Augenbrauen. Das Lachen um uns herum explodiert und Adhi bekommt wieder seinen Hustenanfall.
»Was?«, brülle ich in die Runde. Was ist daran lustig?
Ayyanar tritt einen Schritt zurück und schaut beschämt auf seine Füße. »Nur Ehemännern ist es erlaubt, bei ihren Frauen den Punkt aufzumalen.«
Es macht nur langsam Klick, aber der Groschen fällt.
Ich habe einen unverheirateten Mann gefragt, ob er mir einen Punkt auf die Stirn malt. Wahrscheinlich ist das genauso intim, wie in Deutschland auf der Straße Händchenhalten oder Küssen.
Ich spüre, wie mir die Hitze in den Kopf schießt.
»Tut mir leid. Habe ich dir jetzt Probleme gemacht?«
Ayyanar winkt ab. »Nein, nein. Alles ist gut.«

 

Bier

In Gedanken versunken, nehme ich ebenfalls einen Schluck von dem Bier. Ein bitterer Geschmack macht sich auf meiner Zunge breit von dem Bier, das näher an Wasser dran ist als an einem deutschen Pils.
»Wo kann man den Bier kaufen? Ich habe keinen Laden gesehen, wo es welches gibt.«
»An vielen Orten. In Alankuppam gibt es einen Laden.«
»In Alankuppam?! Der ist mir gar nicht aufgefallen. Hättet ihr was gesagt, dann hätte ich welches mitgebracht.«
»Frauen kaufen kein Bier«, kommt es entrüstet von einem Freund, dessen Namen ich vergessen habe.
»Aber warum denn?«, frage ich verwirrt.
Ayyanar schaltet sich ein, um es mir zu erklären. »Weil die meisten Männer dann den Respekt vor der Frau verlieren. Und nicht nur die Männer – man wird auf der Arbeit auch nicht mehr anerkannt. Frauen trinken keinen Alkohol.«
Etwas perplex sitze ich mit meiner Flasche in der Hand und weiß nicht, was ich mit der Information und vor allem mit dem angebrochenen Bier anfangen soll.
»Und warum habt ihr mir dann ein Bier gegeben?«
»Du bist anders«, winkt Thiru ab.

 

Wandfarbe

Ich drehe mich zum Haus um und bleibe wie angewurzelt stehen. Von der Straße war Aruns Heim nicht einsehbar, aber jetzt befinde ich mich genau davor und traue meinen Augen nicht.
Inder lieben Farben! Das ist mir klar. Die bunten Saris, die farbenfrohen Tempel und die Familienhäuser in allen erdenklichen Kolorierungen. Aber das, was hier vor mir steht, schießt den Vogel ab. Entweder war im Baumarkt nicht genug von einem Farbeimer da oder Arun findet das dort schön.
Jedes Bauelement ist anderes gestrichen. Und dann nicht in Farben, die ich als angenehm bezeichnen würde wie ein beruhigendes Waldgrün, ein Sonnenuntergangsorange oder ein Ozeanblau. Nein! Die Vorderwand ist kotzgrün, der Türrahmen neongelb und die Treppe zum Dach schimmelblau. Jede Farbe, die in einem deutschen Baumarkt im Sonderverkauf reduziert wäre, ist vertreten.
Ich reiße mich von dem Anblick los. Wenn ich zu lange hinschaue, bekomme ich sicher Augenkrebs!